Der vergessene Krieg?

(Bild: Gefallener preußischer Soldat auf Schlachtfeld)

Der Bismarckplatz in Landshut steht beispielhaft für eine wenig reflektierende Erinnerungskultur rund um den ehemaligen deutschen Reichskanzler. Aufgrund seiner militärischen und politischen Erfolge wurden Otto von Bismarck zahlreiche Denkmäler gewidmet. Welche diese militärischen Erfolge jedoch genau waren, weiß in Deutschland kaum einer mehr. Was einige noch wissen ist, dass es zum Ende des 19. Jahrhunderts einen Krieg zwischen den deutschen Staaten und Frankreich gegeben habe, der durch eine schnelle Niederlage seitens Frankreich zur deutschen Reichsgründung geführt habe. Dieses Ereignis ist der Krieg 1870/71, der aufgrund seiner Unbekanntheit häufig als “Vergessener Krieg” bezeichnet wird. Ein Grund für dessen Unbekanntheit ist die große zeitliche Nähe zum I. Weltkrieg, der diesen “weniger bedeutenden” Krieg durch seine Grauen deutlich überschattet. Es gab jedoch auch Zeiten, in denen der zur Gründung des deutschen Nationalstaats führende Krieg deutlich bekannter war, da man ihn für deutsche Propagandazwecke sehr gut verwenden konnte. Im Folgenden möchten wir uns mit diesem Krieg beschäftigen und dabei auch die gewonnenen Eindrücke aus unserem Besuch des Museums in Gravelotte mit einbeziehen.

In Frankreich ist mit dem Sprichwort “Ca tombe comme à Gravelotte” eine Erinnerung an diesen Krieg fest in der Sprache verbunden, die vielen Franzosen selbst wohl nicht einmal bewusst ist. Übersetzt heißt diese Redewendung soviel wie “Es kommt herab wie in Gravelotte” und lässt sich mit der deutschen Redewendung “Es schüttet, wie aus Eimern” gleichsetzen – Eine Anspielung an die scheinbar endlos herabfallenden Artilleriegranaten und sonstigen Geschosse, die das Schlachtfeld in Gravelotte prägten. Direkt neben dem einstigen Kriegsschauplatz befindet sich heute ein Museum, das sich zur Aufgabe gemacht hat, möglichst neutral über die Geschichte des Krieges 1870/71 mit einem besonderen Augenmerk auf Gravelotte aufzuklären. – Ein Krieg bei dem moderne und altertümliche Kampftaktiken aufeinandertrafen. Ein sehr eindrucksvolles Beispiel dafür sind die sogenannten “Weißen”, die Vorzeige-Kavallerieeinheit der Deutschen. Diese Einheit wurde im Kampf gegen die Franzosen fast vollständig ausgelöscht, da auch schwere Eisenrüstung gegen Artilleriegranaten und Gewehrfeuer keinen Schutz bietet und die weiß gekleideten Reiter auf ihren Pferden ein leichtes Ziel boten.

(Bild: zerschossener Brustpanzer)

Wie in jedem Krieg weist die Darstellung der Ereignisse durch die einzelnen Konfliktparteien deutliche Diskrepanzen zur Realität der Geschehnisse auf. Das erste nebenstehende Bild zeigt die Kampfhandlungen mit all ihren Facetten, wobei auch die Verzweiflung einzelner Soldaten und sogar tote Kämpfer gezeigt werden. Dies war lange Zeit eine von Führungseliten beider Seiten verachtete Darstellungsweise, da sie zu „unpatriotisch“ sei. Das untere Bild zeigt in starkem Kontrast dazu eine Schlachtabbildung, wie sie von vielen erwünscht war. Sie zeigt nur Soldaten, die stolz und furchtlos für ihr Land einstehen.

(Bild 1: Zeitgenössische, realisitische Darstellung einer Schlacht; Bild 2: zeitgenössische, heroisierte Darstellung einer Schlacht)

Da zu dieser Zeit der Nationalismus in Europa weit verbreitet war und auch die Deutschen sich folglich nach einem Nationalstaat sehnten, entwickelte Reichskanzler Bismarck einen Plan, welcher dafür sorgte, dass Frankreich den deutschen Bund angriff. Dies war insofern relevant, da durch das Feindbild der Franzosen und der klaren Überlegenheit Preußens im Krieg im Nachhinein das deutsche Kaiserreich ausgerufen werden konnte. Gründe für die klare Überlegenheit des preußischen Militärs waren zum Einen deren moderneren Waffen, zum Anderen aber auch das Ressourcendefizit der französischen Armee v.a. im Bereich der Munition.

Nach dem schnellen Sieg seitens der Deutschen wurde Kaiser Napoleon III. inhaftiert und die dritte französische Republik wurde geboren. Napoleon musste Kaiser Wilhelm I. sein Schwert überreichen als Symbol seiner Kapitulation. Zudem war Frankreich dazu verpflichtet, Reparationen in Höhe von 2,5 Mio. Francs an das deutsche Reich zu zahlen. Außerdem wurde das Gebiet Elsass-Lothringen, das heute zutreffender Elsass-Mosel genannt wird, an Deutschland angegliedert. Für die dort ansässigen Städte hatte dies zur Folge, dass die Städtenamen eingedeutscht wurden. Durch die deutsche Annexion verließen viele Franzosen ihre Heimat, andernfalls wären sie binnen eines Jahres zu deutschen Staatsbürgern geworden. Die Verbliebenen hatten mit Identitätsproblemen zu kämpfen.

Am meisten beeindruckt beim Besuch in Gravelotte hat uns die Echtheit der Ausstellungsstücke sowie die Wirkung der zeitgenössischen Bilder, welche ebenfalls ausgestellt wurden. Da jedoch der Besuch in Gravelotte direkt an unseren Besuch in Verdun anknüpfte, wirkten die Geschehnisse im Vergleich zu den Schrecken des I. Weltkriegs eher gering auf uns. Dieser subjektive Eindruck ist jedoch kritisch zu betrachten, da die Opferzahlen (v.a. auch im Zivilen Bereich des folgenden Kriegs zwischen Deutschland und Frankreich) deutlich höher waren und auch in der Erinnerungskultur deutlich stärker betrachtet werden. Auch der deutsche Soldatenfriedhof in direkter Nachbarschaft des Museums verstärkt den Eindruck der unterschiedlichen Schwere der Kriege. Der Friedhof in Gravelotte hat nur einen Bruchteil der Größe seines Pendants in Verdun, was seine Wirkung auf den Besucher deutlich kleiner ausfallen lässt. Diese subjektive Wahrnehmung trügt jedoch deutlich, denn die großen Zerstörungen und Opferzahlen werden nicht durch das darauffolgende Grauen geschmälert. Man kann sogar den Krieg 1870/71 als Warnung betrachten, wie die Industrialisierung die Kriegsführung veränderte, welche dann im I. Weltkrieg ihren vorläufigen Höhepunkt fand.

Abschließend wollen wir uns noch mit einer Aussage unserers Guides im Museum auseinandersetzten. Dieser behauptete, dass Menschen dieser Region nur erinnerten und trünken, um damit klarzukommen. Das heißt, dass Menschen also die Last der Vergangenheit auf ihr ganzes Leben Einfluss nehmen lassen würden und sie somit wenig Freude im Leben verspüren würden. Wir hoffen, dass diese Aussage etwas überspitzt war, denn eine ausgeprägte und gesunde Erinnerungskultur sollte nicht zu Missmut, geschweige denn Alkoholsucht führen. Natürlich ist es wichtig, Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit zu ziehen, jedoch sollte eine wichitge Erkenntnis dabei sein, dass man das Leben genießen sollte, so lange es geht, denn dieses Privileg ist nicht jedem Menschen so gegeben wie uns Europäern. Bedeutend ist jedoch auch, sich dafür einzusetzen, dass Leid auf der Welt minimiert wird. Ein sehr gutes Mittel dafür, ist zu verhindern, dass wieder Völkerfeindschaften, wie zwischen Frankreich und Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert vorhanden, entstehen zu lassen und somit den Jahrzehntelangen Frieden in Europa zu wahren.

Autoren: Adriano, Patrick, Sebastian

Bilder: Eigene Aufnahmen

Über das Museum:

http://www.mosellepassion.fr/index.php/les-sites-moselle-passion/musee-de-la-guerre-de-1870

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