“Ich hab da ein Gedicht geschrieben” – Künstlerische Reaktionen auf die dt.-frz. Beziehung

Zugegebenermaßen, Kunst gabs ja schon immer. Jemand, den die Muse küsst, malt ein Bild oder schreibt ein Gedicht. Soweit nichts Neues. Es sei denn, dieser Schaffungsprozess ist verbunden mit gesellschaftlichen Ereignissen, oder besser ausgedrückt – Vorkommnissen: Kriege zum Beispiel. Hört sich makaber an, ist aber ein sehr ergiebiger Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt damaliger Zeitzeugen. Das ist auch der Fall bei – Überraschung! – Deutschland und Frankreich. In ihrer doch ziemlich wechselhaften Beziehung gab es einige Menschen, die sich mit ebendieser auseinandergesetzt haben. Hier ein kleiner Einblick in eine Auswahl der dabei entstandenen Werke , gestaffelt nach ihrer Chronologie:

Wir starten unsere kleine Zeitreise 1870/71 zur Zeit des deutsch-französischen Krieges, genauer gesagt während des “siège de Paris” – Der Belagerung von Paris durch die Deutschen.

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Le siège de Paris (Ernest Meissonier), um 1884

Wie durch die große, zentral plazierte Tricolore unschwer zu erkennen ist, stammt das Gemälde von einem Franzosen: Ernest Meissonier. Sein Ziel war es, den Heldenmut und das Opfer seiner Landsleute im Krieg zu ehren. Ob ihm das gelungen ist? Bei näherer Betrachtung des Bildes auf alle Fälle: Auffallend sind natürlich die Verletzten und Toten, die eine vorherrschende Rolle einnehmen – offensichtlich handelt es sich hierbei um bereits geschlagene Deutsche. Im Kontrast dazu sieht man immer noch bewaffnete, kämpfende Soldaten: Die Franzosen, die sich immer noch zäh durch das Geschehen durchbeißen. Auch den allgemein verbreiteten Schrecken des Krieges lässt Meissonier nicht unbeachtet und stützt ihn durch die Farbgebung: Dominierend sind grau und braun – ziemlich düster. Außerdem fliegt links oben eine geisterhafte, ausgemergelte Gestalt, die das Hungerleiden der Menschen während dieses Krieges symbolisieren soll.

Okay. Eine Kriegssituation, subjektiviert von einem Landsmann, der seine Nation und sich glorreicher, seine Feinde aber dafür umso abscheulicher darstellen will. Kennt man, das ist ein weit verbreitetes Muster. Aber zuletzt bleibt noch eine Frage offen: Wen oder was soll die Figur in der Mitte darstellen, die immerhin alle Blicke auf sich zieht? Das ist, glaubt man den Quellen, Madame Meissonier höchstpersönlich, die Modell gestanden hat. Allerdings hat sie es nur mit Löwenkopf auf das Bild geschafft, da Meissonier mit ihr Paris personifiziert auf Papier oder, entgegen der Redewendung, auf Leinwand bringen wollte. Sie ragt, trotz allem, heraus – die große Liebe der Franzosen, ohne jeden Sarkasmus.

Und wer hat jetzt ein Gedicht geschrieben?

Gut, nicht, wie der Titel vielleicht irrtümlicherweise vermuten hat lassen, der Autor dieses Schmankerls hier. Wäre wahrscheinlich auch keine allzu schlaue Idee. Es war Arthur Rimbaud, der (immer noch zu Zeiten des deutsch-französischen Krieges) das Schicksal eines Soldaten auf tragisch-schöne Weise in ein Gedicht verpackt hat – und somit den Satz aus dem Titel 1870 durchaus hätte sagen können.

Le dormeur du val (Arthur Rimbaud)

 C'est un trou de verdure où chante une rivière
Accrochant follement aux herbes des haillons
D'argent ; où le soleil, de la montagne fière,
Luit : c'est un petit val qui mousse de rayons.

Un soldat jeune, bouche ouverte, tête nue,
Et la nuque baignant dans le frais cresson bleu,
Dort ; il est étendu dans l'herbe sous la nue,
Pâle dans son lit vert où la lumière pleut.

Les pieds dans les glaïeuls, il dort. Souriant comme
Sourirait un enfant malade, il fait un somme :
Nature, berce-le chaudement : il a froid.

Les parfums ne font pas frissonner sa narine ;
Il dort dans le soleil, la main sur sa poitrine
Tranquille. Il a deux trous rouges au côté droit.

Gänsehaut. Zumindest, wenn man französisch kann. Wenn nicht, hier die Übersetzung von Lisa:

Der Schlafende im Tal (Arthur Rimbaud)

An diesem grünen Fleckchen singt ein ein Fluss,
Der die Gräser hastig mit silbernem Tuche säumt
Wo die Sonne vom stolzen Berge scheint,
Ein kleines Tal vor Strahlen schäumt.

Ein junger Soldat, den Mund offen, den Kopf kahl
Und den Nacken in die frische, blaue Kresse getaucht,
Schläft; ausgestreckt im Gras unter den Wolken,
Blass, in seinem grünen Bett, auf welches sich das Licht ergießt.

Mit seinen Füßen in den Gladiolen schläft er. Lächelnd So wie ein krankes Kind, schläft er:
Natur, wieg ihn warm: Er friert.

Die Gerüche dringen ihm nicht in die Nase ;
Er schläft unter der Sonne, die Hand auf der Brust
Friedlich, mit zwei roten Löchern in der rechten Brust.

Ein Gedicht, das für sich selbst stehen kann. Die Antithetik und die Paradoxa, die es durch die Enthüllung im letzten Vers aufweist, erzeugen beim Lesen eine Stimmung, die durch zu viel Gerede und Analyse nur zerstört werden würde.

Wir springen ohne jegliche Umwege in die Jahre des ersten Weltkriegs (1914-1918), der ‘Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts’. Man hatte eine völlig verklärte, glorifizierte Vorstellung eines Krieges, die den Schock auf das Grauen, das der Bevölkerung schließlich widerfuhr, nicht unbedingt milderte. Otto Dix, ein deutscher Maler, hatte sich als junger Mann, wie viele andere, freiwillig zum Militärsdienst gemeldet. Er fertigte in den Nachkriegsjahren schließlich verschiedenste Werke an, im schlechtesten Sinne ‘inspiriert’ und geprägt von seinen Erfahrungen.

Datei:Otto Dix by Hugo Erfurth, c. 1929.jpg
Otto Dix, um 1929

Dass sich der hier etwas kritisch dreinblickende Dix in den nachfolgend angeführten Beispielwerken überraschend unparteiisch gegenüber anderen Ländern und Haltungen zeigt, zeugt schon von einem etwas moderneren ‘mindset’- einer Grundhaltung, die schon eher der heutigen Zeit entspricht. Seine Motive lassen vermuten, dass er einen großen Fokus auf die Darstellung der Kriegssituation legte, unabhängig von der Nationalität. Aber welche Motive denn überhaupt?

Hier macht uns das Urheberrecht einen Strich durch die Rechnung, da Dix 1969 verstorben ist und er bzw. seine Nachfahren somit noch alle Rechte auf seine Werke haben. Naja. Aber vielleicht können (wahrscheinlich etwas weniger als 1000) Worte ja doch mal mehr sagen als ein Bild.

“Flandern” – hört sich an wie ein ägyptisches Hefegebäck, ist aber eine Ortschaft in Belgien und zugleich der Namensgeber für ein Werk Dix’. Dort stoppte man 1914 eine Offensive der Deutschen, Dix kämpfte danach dort auch selber. Er zeigt in “Flandern” eine wenig ansprechende, bräunliche Landschaft, die, geschmückt mit ein paar toten Soldaten, stark an einen Sumpf erinnert. Dann doch lieber Brüssel für den nächsten Urlaub.

Ein weiteres Bild noch, dann haben wir Sie erstmal genug mit Krieg und Feindschaft erschreckt. Der Name dieses Werkes lautet “Le Soldat Blessé”, ein etwas früher entstandenes Werk, das in seiner Ausarbeitungsweise an eine Karikatur erinnert. Eine schwarz-weiße Zeichung eines Soldaten, der sich, das Gesicht eine verzerrte Fratze, die Schulter hält – wahrscheinlich vor Schmerzen. Kein Einzelfall im Krieg, was dessen Grausamkeit aber nicht im Geringsten mindert.

Das sind doch keine künstlerischen Reaktionen, das sind Traumata!

Touché. In gewisser Weise – Kunst kann vielerlei Gestalten annehmen. Natürlich auch die der Ästhetik oder der Vergnügung des Geistes – wofür wir nochmal durch die Zeit springen müssen.

Bildergebnis für barbara göttingen
Barbara, 1965

Darf ich vorstellen? Barbara, bürgerlich Monique Serf. Wir befinden uns jetzt schon in den Nachkriegsjahren des zweiten Weltkriegs, das Schlimmste ist überstanden. Deutschland und Frankreich mögen sich politisch so halbwegs, aber Barbara ist den Deutschen zurecht immer noch nicht allzu zugeneigt. Was das ganze nicht besser macht, ist die Tatsache, dass sie 1964 in Göttingen, offensichtlich Deutschland, ein Konzert halten soll. Sie macht es – widerwillig – und verliebt sich im Rahmen dieses Auftritts unerwartet in die Stadt und ihre Menschen. Aus dieser neu entflammten Liebe schöpft sie die Muse für ein neues Lied: Das Chanson Göttingen, eine Hommage an einen Ort in einem Land, das ihr davor so verhasst war.

Barbara – Göttingen (1964)

Um abschließend Barbara zu zitieren: “Lasst diese Zeit nie wiederkehren, wenn Blut und Hass die Welt zerstören!”

Schon müde? Keine Sorge, der folgende Zeitsprung ist der letzte. Das Ziel ist der 2013 ins Leben gerufene deutsch-französische Jugendliteraturpreis, der nun die entstandene Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich auf künstlerischer Ebene abrunden soll. Jedes Jahr werden also jeweils ein deutscher und ein französischer Autor geehrt, deren Bücher noch nicht in die jeweils andere Sprache übersetzt wurde. Beide Autoren erhalten ein Preisgeld von jeweils 6000 Euro, auf den Verlag warten jeweils auch nochmal 2000 Euro für die Übersetzung des Buches auf Deutsch bzw. Französisch. Insgesamt sollen sprachliche bzw. kulturelle Barrieren der jüngeren Bevölkerung überwunden und der literarische Dialog der beiden Länder gefördert werden. Eine Win-Win Situation: Die Autoren erlangen einen höheren Bekanntheitsgrad und die Kinder bzw. Jugendlichen bekommen einen leichteren Zugang zu ausländischer Literatur.

Welch ein schöner Abschluss – unsere anfänglichen Streithähne Frankreich und Deutschland haben also eine Versöhnung hingelegt, wie sie (fast) im Bilderbuche stehen könnte. Auch die Kunst der beiden Länder hat sich dementsprechend verändert – von purem Hass bis hin zu Liebeserklärungen in Liederform. Die gibt es noch heute, wenn auch nicht so offensichtlich wie in “Göttingen”:

Namika & Black M – Je ne parle pas francais (2018)

Es bleibt zu hoffen, dass diese Harmonie bestehen bleibt. Denn obwohl Kriege und Unruhen viel an (künstlerischen) Reaktionen und Gefühlen auslösten, liefert die Freundschaft doch die insgesamt schöneren Ergebnisse:

Hass ist krass, Liebe ist krasser!

Manchmal darf man schließlich auch kitschig sein.

{Beitrag von: Sophia, Katja, Lisa, Marlene; Autor: Marlene}

Bildnachweis:

Beitragsbild bzw. La siège de Paris (Ernest Meissonier) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ernest_Meissonier_001.jpg

Otto Dix: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Otto_Dix_by_Hugo_Erfurth,_c._1929.jpg

Barbara: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f4/Barbara_%281965%29.jpg